Fiespa im Süden des Seelands

Am Pfingstmontag trafen sich an der „Fiespa“ in Lyss die Liebhaber von Fiat 500- und Vespa-Oldtimern. Nebst der Freude an den alten Fahrzeugen war dieses Fest auch eine Hommage an unser südliches Nachbarland.
Bereits eine Stunde vor dem Anlass wähnt man sich eher auf einer Piazza in Italien, denn im Berner Seeland: Sieben Männer des Lysser Apuliervereins sind dabei, ihre Festwirtschaft aufzustellen und sprechen untereinander - selbstverständlich - italienisch. Solange es noch ruhig zu und her geht, wollen sie unbedingt noch ein Foto mit Andreas Hegg, ihrem heutigen „Capo“ und Organisator des Fiespa 2022, aufnehmen.
Die Verbundenheit zu Ihrer Heimat Apulien, das sich am Absatz des italienischen „Stiefels“ befindet, ist ihnen sehr wichtig. „Paolo! Caffè!“, ruft Antonio Marzo von hinter dem Buffet seinem Kollegen Paolo Larizza zu. Dieser wäre eigentlich für die Kaffeeausgabe an der Espresso-Maschine zuständig, ist jetzt aber gerade noch damit beschäftigt, mit seinem Handy die bereits vereinzelt vorhandenen Fiat Cinquecento zu filmen.
„Ich duze einfach alle, das gehört doch zu diesem Anlass dazu“, lacht Andreas Hegg, von den meisten Anwesenden ebenso einfach „Res“ genannt. Als langjähriger, ehemaliger Gemeindepräsident kennt man ihn in Lyss und Umgebung natürlich. Er selbst besitzt zwei Fiat 500, einen sandfarbenen mit Jahrgang 1963 und einen roten aus dem Jahr 1970. Diese hat er heute ebenfalls an die Fiespa mitgebracht. Am Armaturenbrett seines sandfarbenen Cinquecento hängen zwei kleine Madonnenbildchen, welche Heggs auf ihren Fahrten beschützen sollen und natürlich sehr stilgerecht sind.
Woher kommt sein Bezug zu Italien? „Mit der Lysser Schwesterstadt im apulischen Monopoli pflegt die Gemeinde seit vielen Jahrzehnten einen freundschaftlichen Kontakt“, freut sich Hegg, der die Fiespa nach 2018 und 2019 nun zum dritten Mal durchführt. „Wir machen das ohne grosses Tamtam; jeder kann kommen, man muss sich nicht anmelden und zahlt auch keine Gebühr, um sein Fahrzeug präsentieren zu können“. Unkompliziert italienisch halt.
Nicht jeder durfte hinein
Obwohl: Gerade jeder wurde nicht als Aussteller auf den Platz gelassen. Die Fiat Cinquecento sollten aus den Jahren 1957 bis 1976 stammen, die Vespas mussten mindestens 30-jährig sein. Als jedoch im Verlauf des Vormittags mehrere Vespa-Clubs mit vereinzelt auch neuen, modernen Vespas eintreffen, muss sich Hegg geschlagen geben. „Ich kann ja nicht einzelnen Mitgliedern eines gemeinsam anreisenden Clubs sagen, dass sie nicht hineinfahren dürfen“, zwinkert er.
Bei den Autos gab es jedoch kein Pardon: Alexander Baitz aus Ammerzwil, welcher mit seinem mintfarbenen Trabant „Baujahr 1961“, wie er präzisiert, auf den Platz fahren wollte, wurde „einfach abgewiesen“, lacht der gebürtige Ostdeutsche. Er organisiert selbst wiederkehrende Oldtimertreffen, jedoch natürlich mit „Trabis“ und zeigt volles Verständnis dafür, dass sein ostdeutsches Auto heute bei den Italienern draussen bleiben musste. Baitz: „Aber von der Motorisierung her hätte es gepasst, meiner hat auch 500 Kubik“.
Der Viehmarktplatz hat sich mittlerweile gut gefüllt. Immer mehr Fiat 500, mitunter in schönen Pastellfarben lackiert, fahren auf den Platz. «Brömmbrömmbrömm», da rollt auch schon ein weiterer Kleiner, diesmal in samtenem Dunkelrot aufs Areal. Sein Klang ist einzigartig. Aber dass es sich beim Cinquecento um ein übermotorisiertes Fahrzeug handelt, kann wohl kaum behauptet werden: Mit seiner Spitzengeschwindigkeit von rund 90 Kilometern pro Stunde, geht es in erster Linie um den Fahrspass und um die Tradition des aus Turin stammenden Gefährts. Diese begeistert auch Beatrice und Hans Bangerter aus Wahlendorf. „Wir kauften den Cinquecento mit Jahrgang 1972 von einem alten Mann, der selbst nicht mehr Auto fahren konnte“. Sie seien wahre Italienfans und verbrächten auch ihre Ferien oft im südlichen Nachbarland. Der originalgetreue Reisekoffer ist jedenfalls schon mal auf das Heck des Autos geschnallt und animiert zum Aufbruch in die Sommerferien.
Frischluft war Mangelware
Es ist mitunter die Faszination, dass man sich mit einem so niedlich aussehenden und zugleich spartanisch ausgestatteten Fahrzeug - zwar nicht so schnell - aber dennoch zufrieden von A nach B fortbewegen kann. Stichwort spartanisch: Bei den ersten Fiat 500 konnten die Scheiben in den Türen nicht heruntergekurbelt werden. Frischluft kam nur durch die Ausstellfenster in den Türen und über die Luftschlitze im Frontblech, von denen Schläuche bis zu den Klappen unter dem Armaturenbrett führten. Fiat baute dieses Auto ursprünglich als günstiges Modell für Menschen mit tiefem Einkommen. Ende der 50er-Jahre kostete ein Fiat 500 wenige tausend Franken, wogegen ein gut erhaltener Veteran heute in der Regel über 20‘000 Franken gehandelt wird.
Italianità auch auf zwei Rädern
Wer kennt sie nicht, die Filmszenen mit Sophia Loren oder Gina Lollobrigida, die auf ihren Vespas durch die engen Gassen einer italienischen Altsdtadt kurven. Diese Bilder sind es, welche einen die Vespa, dem Inbegriff des Dolce Vita auf zwei Rädern sozusagen, unauslöschlich in Erinnerung behalten lassen.
Anja Zwahlen und ihr Mann Elsom De Azevedo aus Diessbach sind mit ihrem kleinen Sohn Nick ans Fest gekommen. „Die Vespa gehört meiner Frau, jedoch darf ich derzeit damit fahren, da sie zum zweiten Kind schwanger ist“, freut sich der gebürtige Portugiese. Er und seine Frau haben den Roller mit Jahrgang 1964 in Portugal gekauft und ihn, so Zwahlen, „als teures Feriensouvenir in die Schweiz gebracht“. Der speziellen Farbe ihres Vespas sage sie „Babyblau“, so Zwahlen. Was natürlich überaus passend ist.
Artikel von Markus Nobs aus dem Bieler Tagblatt vom 7. Juni 2022 (erschienen mit dem Titel "Italianità auf dem Viehmarktplatz").