Anfangs Juli beendet Konrad Gnädinger seine bald dreissigjährige Karriere als Aarberger Spitzenkoch des Restaurants „Rathaus Cucina Italiana“. Der Rückblick auf die drei Jahrzehnte bewegt den sympathischen Gastronomen sichtlich.
Noch sieht im Rathaus nichts nach Abgang aus. Der Pöstler steht plötzlich mit der Weinlieferung im Korridor, ein Stedtli-Nachbar verlangt nach einer Flasche der selbstgemachten Salatsauce aus dem Kühler, das Handy klingelt bereits für die nächste Reservation vom Wochenende. Und das an einem freien Tag! „Man hat nie Ruhe“, bestätigt Monika Leu den Eindruck des Bieler Tagblatt-Korrespondenten. Sie muss es wissen: Begleitet sie doch ihren Lebenspartner Konrad Gnädinger bereits seit rund 15 Jahren als wichtigste Person im Aarberger Gastrobetrieb. Dass die Familie zu jeder Zeit seine stärkste Stütze in der knapp dreissigjährigen Erfolgsgeschichte war, wird Gnädinger mehr als bewusst, als er den Ausdruck eines alten Zeitungsartikels auf den Tisch legt: „Das Foto aus dem Jahr 1993 zeigt meine damalige Frau Bettina, welche unsere einjährige Tochter Linda auf dem Arm trägt“. Sichtlich bewegt denkt Gnädinger an die Anfangszeit zurück, als er mit der damals noch kleinen Familie im Stedtli lebte und wirtete. Zuvor machte Gnädinger als Koch an vielen beruflichen Stationen halt: So unter anderem im amerikanischen Chicago, in Saudi-Arabien, Malta oder auch im Bellevue Palace in Bern. Und jetzt, wo es ums Aufhören geht, will es der Zufall, dass seine heute 29-jährige Tochter Linda gerade selbst ein Baby bekam und er somit zum ersten Mal Grossvater wurde.
Eine weitere wichtige Frau in Gnädingers Leben ist Schwester Gaby. Sie stand ihm in den ersten anderthalb Jahren seiner Wirtetätigkeit in Aarberg prägend zur Seite: „Als ehemalige Stewardess der Swissair verstand sie es bestens, dafür zu sorgen, dass die Gäste sich bei uns sofort wohlfühlten“, so Gnädinger. „Manche fragen noch heute, wie es ihr geht“. Sie lebt indessen bereits seit vielen Jahren im Tessin. Gnädingers Familie wuchs: Im 1998 kam die zweite Tochter Hanna sowie im 2001 Sohn Matthias zur Welt. „Der sehr gute Kontakt zu meinen Kindern, aber auch zu meiner ersten Frau Bettina ist mir sehr wichtig“, freut sich Gnädinger. „Das ist ja nicht selbstverständlich in einer Patchwork-Familie und ich bin sehr dankbar dafür“. Doch dazu später.
Authentische Küche zu fairen Preisen
Die Gäste aus dem Seeland sowie bis weit über das Kantonsgebiet hinaus kamen in all den Jahren nicht nur wegen des einzigartigen Ambientes im Belle Epoque-Stil, sondern insbesondere auch wegen des feinen Essens nach Aarberg ins Rathaus. Die „Cucina Italiana“, wie das Lokal auch genannt wird, ist seit Anbeginn dafür bekannt, seine Gäste mit Speisen in einer hohen Qualität und zu einem guten Preis-Leistungsverhältnis zu verwöhnen. „Viele unserer Gerichte hatten wir bereits vor drei Jahrzehnten im Angebot“, freut sich Gnädinger. So zum Beispiel das Scaloppine die vitello al limone, den schmackhaften Brasato oder die selbst hergestellten Pasta oder Gnocchi. Seit vielen Jahren seien auch die hausgemachten Teigtaschen, welche er „aus tonnenweise Hartweizengriess“ fabriziere, der Renner. Gnädinger: „Wichtig war mir immer, dass auch an verrückten Tagen bis zum letzten Teller die gleich hohe Qualität die Küche verlässt“. Dafür sorgte nebst einer guten Vorbereitung auch sein langjähriges Team mit Frauen tamilischer Herkunft. „Manche von Ihnen sind bereits seit über zwanzig Jahren bei uns“, blickt Koni, wie ihn seine Stammgäste nennen, nicht ohne Stolz zurück.
Patchwork-Familie als Energiequelle
Seit 2008 arbeitet seine Lebenspartnerin Monika Leu im Betrieb mit. Sie ist die Chefin im Service mit einem guten Draht zu allen Mitarbeitenden. „Monika ist sehr sozial, kann die Wogen glätten, wenn es in Stosszeiten auch mal hektisch zu und her geht und hat es nicht zuletzt verstanden, ein tolles Serviceteam zusammen zu schweissen“, so Gnädinger mit einem verliebten Seitenblick zu seiner Monika. Sie sei definitiv eine „Heimweh-Thunerin“, hält die bereits im Jahr 1983 ins Seeland gezogene Oberländerin fest. „Damals kam ich mit meinem ehemaligen Mann Tinu ins Seeland“. Dieser war als Lokführer in Biel tätig, wo die beiden mit ihrer Familie auch wohnten. Leu ist Mutter von zwei Kindern. Fabian ist 32, Livia 29 Jahre alt. Ihr Sohn wohne und arbeite in Dietikon bei Zürich, die Tochter in Nidau. Beide seien oft im Rathaus zu Besuch. Leu: „Nicht selten übernachten sie auch hier im Haus und wir geniessen die gemeinsame Zeit sehr“. Dass sich ihre Kinder auch mit Konis Kindern sehr gut verstehen, mache sie glücklich, so Leu. Das gebe ihr Kraft für ihr nicht immer einfaches Arbeitsleben. Rund zwei Tage in der Woche arbeitet sie noch auf der Frühgeburten-Abteilung des Berner Inselspitals. Eine Arbeit, die einerseits befriedigend sei, andererseits jedoch emotional auch Energie raube. Dennoch könne sie sich gut vorstellen, nach ihrer Zeit im Rathaus, die Stellenprozente im Spital noch etwas zu erhöhen, so die 58-Jährige. Auch eine anderweitige Arbeit in der Gastronomie käme für sie in Frage, denn „ich muss schon noch ein paar Jahre arbeiten bis zu meiner Pensionierung“, so Leu schmunzelnd.
Wer folgt auf Gnädinger?
Die Eheleute Pia und Peter Widmer, welche während 17 Jahren im Möriger Seeblick im Service tätig waren, werden das Rathaus weiterführen. Die Familie Steffen mit der gleichnamigen Konditorei und Team Room aus Aarberg, welcher das Haus bislang gehörte, hat dieses per August 2022 der Terrenum Bern AG verkauft. Dieser Firma um Ulrich Schmid gehören bereits verschiedenste Liegenschaften im Aarberger Stedtli.
Wenige Monate nach seiner Pensionierung wird der 65-jährige Gnädinger und mittlerweile „dienstälteste Wirt Aarbergs“, wie er sich nennt, seinen Kochhut nun also definitiv an den Nagel hängen. Definitiv? So richtig glauben kann er es jedenfalls noch nicht. „Es ist jetzt gerade für mich noch schwer vorstellbar, dass ich bald nicht mehr hier kochen und wirten werde“, sinniert Gnädinger. Und wer weiss, vielleicht stelle er sich ja dann, sobald sich der Rummel etwas gelegt habe, wieder einer neuen Herausforderung in der Gastronomie, so der gebürtige Interlakner. Seinen Gästen jedenfalls wäre es zu gönnen.
Artikel von Markus Nobs, erschienen auf ajour.ch am 27. Juni sowie im Bieler Tagblatt vom 28. Juni 2022