Ein Hochstämmer für die Kleinsten

Pro Natura hat der Primarschule Aarberg einen Baum geschenkt. Die Erst- und Zweitklässler durften ihn pflanzen. Mit grossem Kraftauwand und unter Beobachtung von Schulleiter Roland Schär im Hintergrund pflanzen Leon (links) und Adriano den jungen Hochstamm-Birnbaum auf dem Schulareal. Hauswart Michael Schwab stellt derweil sicher, dass das Bäumchen gerade zu stehen kommt.
Letzte Woche ging es einem Kastanienbaum an der Murtenstrasse an den Kragen. Männer in Orange hatten die Strasse abgesperrt und ein grünes Ungetüm auf Rädern riss den Baum am Rande der Rössli-Kreuzung mit einem dicken Stahlseil zu boden. Es musste wohl sein, denn am Strunk war gut zu erkennen, dass dieser Baum halb durchgefault war. Seinem Pendant auf der anderen Strassenseite ereilte bereits vor längerer Zeit dasselbe Schicksal. Dass es sich bei diesen beiden, markanten Bäumen um historische Ueberbleibsel Aarbergs gehandelt hatte, wussten wohl nur noch ältere Bewohnerinnen und Bewohner. Die beiden Bäume prägten weit über hundert Jahre das Dorfbild an der Murtenstrasse, wie alte Aufnahmen belegen.
Nur ein paar Tage spielte sich hinter dem Aarberger Primarschulhaus ein ganz anderes Szenario ab. Erst- und Zweitklässler durften einen jungen Birnbaum setzen. In fünf Jahren soll dieser Baum die ersten Früchte hervorbringen. Aber schön der Reihe nach: Vor einem Jahr startete Pro Natura die Aktion „Bäumiges Seeland“. Mit dem Neupflanzen von Hochstamm-Obstbäumen soll die ökologische Lebensgrundlage für eine vielfältige Tierwelt erhalten bleiben. Denn: Auch im Seeland droht laut Pro Natura das „schleichende Verschwinden“ von Hochstamm-Obstbäumen, „weil sie Platz und Pflege benötigen“. „Ein alter Baum nach dem anderen wird beseitigt und längst nicht jeder wird ersetzt“, ist Pro Natura überzeugt. Von den vorgesehenen 1000 neuen Bäumen seien laut Christian Thalmann von Pro Natura Seeland seit dem Start der Aktion vor einem Jahr 371 verkauft worden. „Beim heute in Aarberg gepflanzten Birnbaum handelt es sich um eine resistente Sorte, um einen ‚Harrow Sweet‘“. Und: „Die Früchte dieses Baumes sind gut als Pausenfrucht geeignet“, strahlt Thalmann. Mit ihm freuen sich Schulleiter Roland Schär und sechs ausgewählte Kinder der Einführungsklasse sowie der ersten und zweiten Primarklassen. Sie dürfen heute mit schwerem Werkzeug ausgerüstet tatkräftig mitwirken, wenn ihr neuer Hochstamm-Obstbaum gepflanzt wird. „Pro Natura ist auf die Schule zugekommen und hat uns angefragt, ob wir einen Birnbaum brauchen könnten und Platz dafür hätten“, so Roland Schär. Schliesslich hätten sie sich gedacht, dass die kleinsten Schülerinnen und Schüler den Baum setzen dürfen, denn das seien „diejenigen, die ihn am längsten wachsen sehen“. Und so kam es: Donika, Sophia, Leon, Cyril, Jaël und Adriano stehen strahlend, wenn auch anfänglich noch etwas zurückhaltend vor dem grossen Loch, welches Hauswart Michael Schwab und Christian Thalmann zuvor bereits ausgehoben hatten. Als sie jedoch die Schaufeln in die Hand gedrückt erhalten, gibt es kein Halten mehr. Was ihre Muskelkraft hergibt, schaufeln die Mädchen und Jungen die vom Regen durchtränkte, schwere Erde in die Grube. Steht denn die grosse Weide nicht etwas nahe zum heute gepflanzten Birnbaum? „Ja, die kommt dann noch weg“, weiss Hauswart Schwab. Diese sei schon alt und nicht mehr ganz gesund, fügt er hinzu. Und die umstehenden Erwachsenen denken dabei vielleicht an den Kreislauf des Lebens, welchem sowohl Bäume, als auch wir Menschen nicht entfliehen können.
Artikel von Markus Nobs aus dem Bieler Tagblatt vom 19. November 2014